Noch vor wenigen Tagen war die äußere Fassade völlig in Ordnung. Die amerikanischen Indizes glänzten fast täglich mit neuen Monats-, Wochen- oder gar Allzeithochs. Erst vergangene Woche ließen neue Rekordstände im Dow Jones den amerikanischen Präsidenten zu einer regelrechten Twitter-Tirade hinreißen, woraufhin sogleich ein saftiger Sell Off einsetzte. Und schon lernen Trading-Anfänger ihre erste Lektion: Wenn neue Allzeithochs vom US-Präsidenten durch Twitter gejagt oder in der Bild-Zeitung gefeiert werden, lieber mal an der Seitenlinie bleiben oder im Zweifel den Sell-Button suchen. Denn unter der Motorhaube bahnt sich etwas an: Das Zinsgespenst geht um!
Noch können sich die amerikanischen Indizes Nasdaq, Dow Jones und S&P500 ganz gut halten, während der deutsche DAX quasi fast schon auf dem letzten Loch pfeift. Von seinem Allzeithoch bei rund 13.500 Punkten ist so viel nicht mehr übrig, zuletzt musste sogar die magische Marke von 12.000 Punkten dran glauben, die etliche Tage, Wochen und sogar Monate als brachialer Widerstand fungierte. Wird der DAX es noch einmal schaffen diesen wichtigen Support zurückzuerobern und eine fulminante Jahresendrallye einzuläuten? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Fundamental betrachtet entsteht derzeit ein heißes Gebräu, was jedoch von Aktienanlegern noch eine Weile ignoriert werden kann.
Die Zeit des billigen Geldes neigt sich dem Ende. Nach der Fed fängt nun sogar die EZB an ganz langsam das Geld wieder aus dem Markt zu ziehen. Doch die amerikanische Notenbank und ihr neuer Chef mögen es rabiat. Während die EZB den Leitzins „auf absehbare Zeit“ noch bei 0% belassen möchte, geht die amerikanische Fed in die Vollen, erhöhte beim letzen Meeting auf 2,25 und visiert bereits die 3%-Marke an. Die US-Wirtschaft ist stark, es herrscht annähernd Vollbeschäftigung und die Inflationsrate liegt in der Nähe des gedachten Ziels von 2 Prozent. Das Resultat der Zinserhöhung wird nicht nur am DAX deutlich: Das Geld der Investoren fließt aus dem Euroraum raus hinüber in die USA, wie wir auch am drastisch nachgebenden Euro gegenüber dem US-Dollar sehen. Unter dieser Sogwirkung leiden derzeit vor allem einige Schwellenländer, die aufgrund des stark steigenden Dollars bereits mit dem Rücken an der Wand stehen. Vor allem die Dauersorgenkinder Argentinien und Venzuela werden von der aktuellen Dollarstärke hart getroffen, aber auch die Türkei weiß mittlerweile weder ein noch aus. Doch auch der Exportnation Deutschland scheint der schwache Euro diesmal nicht wirklich helfen zu können. Zu viele Baustellen sind im Euroraum noch offen, allen voran zwei neue alte Sorgenkinder: Griechenland und Italien, hinzu kommt die politische Ungewissheit durch zahlreiche neue, unberechenbare, eher eurokritische und „rechtspopulistische“ Regierungen innerhalb der Eurozone.
Für das offensichtliche Ungleichgewicht zwischen DAX und Dow ist also weitestgehend das unterschiedliche Zinsniveau der Länder verantwortlich. Zusätzlich belasten den DAX natürlich die deutschen Autobauer und Diesel-Spezialisten, die von einer Krise in die nächste schlittern und langsam aber sicher ihre Marktanteile an diverse Elektrobauer, vornehmlich aus Ostasien aber auch aus Amerika, verlieren. Noch will man davon in der rosaroten Autobauerwelt Deutschland nichts wissen oder versucht verzweifelt die Realität zu leugnen, doch schon jetzt wird mehr als deutlich, dass der Verbrennungsmotor in Kürze ausgedient hat. Und was haben die deutschen Autobauer hier zu bieten? Im Grunde nichts, oder zumindest (noch) nicht viel. Anleger fragen sich folglich derzeit: Wozu noch Aktien und das dazugehörige gewaltige Crash-Risiko, wenn ich zur gleichen Zeit auf dem Anleihemarkt eine sichere Rendite von mittlerweile immerhin 3 Prozent bekommen kann? Drei Prozent mag für einen Daytrader natürlich lächerlich klingen, für große Investoren, die Milliarden hin- und herschieben, jedoch ein willkommenes, risikoloses und einfaches Fressen.
Donald Trump ist von der neuen Fed-Politk natürlich „not amused“. Schließlich ist der Aktienmarkt sein Vorzeigeobjekt und Symbol für die brummende US-Wirtschaft, das bei den bevorstehenden Senatswahlen im November dringend gebraucht wird – und zwar am besten mit neuen Allzeithochs. Zwar ist die amerikanische Fed wie die europäische EZB in ihren Entscheidungen unabhängig, doch anders als seine Vorgänger lässt Donald Trump keine Gelegenheit aus, die Notenbank für ihr Vorgehen zu kritisieren. Dabei ist das vordergründige Ziel der Fed laut ihrem Vorsitzenden Jerome Powell nicht etwa die Aktienmärke von einem Allzeithoch zum nächsten zu treiben, sondern
maximale Beschäftigung in Verbindung mit Preisstabilität
zu erreichen. Anleger und Investoren preisen also derzeit weitere Zinserhöhungsschritte in ihre Kaufentscheidungen ein, alleine in diesem Jahr soll es noch einen weiteren Zinsschritt geben, 2019 sollen es drei an der Zahl sein. Sollte es also hier irgendwann zu Abweichungen kommen, die bei einem der nächsten FOMC-Meetings ans Licht getragen werden, dürfte dies heftige Auswirkungen auf die Märkte haben. Eine Abkehr von der rigider werdenden Zinspolitik oder ein Aussetzen der Zinserhöhungen könnte die Aktienmärkte also sogar noch einmal nach oben befeuern. Wichtiger Seismograph für künftige Zinsschritte sind daher auch die lauter werdenden Klagerufe der Unternehmen, die sich aufgrund steigender Kosten vor der Zukunft sorgen. Aktuell kann die Fed noch keine drastische Preissteigerung erkennen, das ist jedoch das Risiko, das sie für die steigenden Zinsen eingehen muss.
Doch woher nun die Unsicherheit an den Aktienmärkten? Der Grund liegt in den Renditen für US-Staatsanleihen, wovon zuletzt die 10-jähige über die magische Marke von 3 Prozent stieg, welche seit geraumer Zeit ein heftiger Widerstand war. Um die Renditen wieder zu drücken, müssten sich Käufer für diese Anleihen finden. Die Fed ist es jedenfalls schon mal nicht, sie baut ihre Bestände gerade ab. Auch die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen schossen nach der Vorstößen der neuen italienischen Regierung in Sachen Defizitmarke deutlich in die Höhe, was die Refinanzierung für einen dermaßen überschuldeten Staat deutlich schwieriger gestaltet. Um Druck aus dem Kessel zu lassen, versprach Ministerpräsident Conte jedoch sogleich sich 2020 wieder an die EU-Defizitvorgaben zu halten, was auf Seiten der europäischen Finanzminister für Erleichterung sorgte. Ob die Finanzmärkte ihm das abnehmen, bleibt abzuwarten. Aber auch China wird als klassisches Schwellenland durch die Zinserhöhung zum Risikofaktor für die Weltwirtschaft. Trotz diverser Stützungsmaßnahmen der chinesischen Notenbank letzte Woche gaben die Aktienkurse weiter nach. China leidet eben – wie alle anderen stark in Dollar verschuldeten Volkswirtschaften – plötzlich stark unter dem steigenden Zinsdruck.
Wo Schatten ist, da ist in der Regel auch Licht. So profitieren derzeit am Aktienmarkt vor allem einige amerikanische Banken und Versicherungen von den steigenden Zinsen, während in der Regel Versorger und Hausbau-Aktien darunter leiden. Auf dem Währungsmarkt darf sich natürlich der US-Dollar zu den Gewinnern rechnen, während vor allem Währungen von Schwellenländern die stark in Dollar verschuldet sind, wie zum Beispiel der argentinische Peso, massiv unter die Räder kommen. Der Euro dürfte es weiterhin schwer haben sich gegen den US-Dollar zu behaupten, zumal er auch noch Sperrfeuer aus der Heimat durch eine immer maroder werdende EU und zweifelhafte Zukunftsaussichten völlig überschuldeter Euro-Länder bekommt.
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